Anfechtung der Vaterschaft - kein Vorrang des leiblichen Vaters

BGH, Beschluss vom 15.11.2017, Az. XII ZB 389/16 

Bei Bestehen einer sozial-familiären Beziehung zwischen Kind und rechtlichem Vater ist der Antrag des leiblichen Vaters auf Anfechtung der Vaterschaft stets unbegründet - auch wenn der leibliche Vater seinerseits eine sozial-familiäre Beziehung zu dem Kind hat und mit ihm in einer Familie zusammenlebt.

Hintergrund

Gegenstand in dem Verfahren vor dem BGH war die Frage der rechtlichen Vaterschaft eines Kindes. Der biologische Vater des Kindes hatte die Vaterschaft des rechtlichen Vaters angefochten und begehrte vor Gericht seine Feststellung als rechtlicher Vater.

Das Kind war aus einer neuen Beziehung der Mutter enstanden, für welches sie sich von ihrem bisherigen langjährigen Partner getrennt hatte. Noch vor Geburt des Kindes kam es jedoch zur Trennung. Nach der Geburt kümmerte sich anschließend der ehemalige Partner um das Kind und erkannte auch die Vaterschaft des Kindes an.

Die Mutter nahm daraufhin die Beziehung zum biologischen Vater des Kindes wieder auf. Dieser hielt sich von nun an regelmäßig in ihrer Wohnung auf und kümmerte sich ebenfalls um das Kind. In der Folgezeit trennten er und die Mutter sich wiederholt, kamen aber jeweils wieder zusammen und heirateten. Nunmehr stellte der biologische Vater einen Antrag zur Feststellung, dass er der rechtliche Vater des Kindes sei und nicht der ehemalige Partner der Mutter, der die Vaterschaft nach Geburt des Kindes anerkannt hatte.

Das mit dem Fall zunächst befasste Oberlandesgericht gab dem leiblichen Vater Recht.

Gemäß § 1600 Abs. 2 BGB kann der leibliche Vater eines Kindes die rechtliche Vaterschaft eines Anderen anfechten, wenn zwischen dem Kind und dem rechtlichen Vater keine sozial-familiäre Beziehung besteht.

Eine solche Beziehung ist anzunehmen, wenn der rechtliche Vater für das Kind tatsächliche Verantwortung trägt oder getragen hat. Verantwortung trägt derjenige, der sich um die Pflege und Erziehung des Kindes kümmert. Dies Übernahme der tatsächlichen Verantwortung wird grundsätzlich vermutet, wenn der rechtliche Vater mit der Mutter des Kindes verheiratet ist oder mit dem Kind längere Zeit in häuslicher Gemeinschaft lebt bzw. gelebt hat. Diese Punkte sind aber keine Voraussetzungen. Vielmehr kann auch darüber hinaus eine ausreichende Verantwortungsübernahme bestehen, etwa wenn der Vater wesentliche Betreuungsleistungen für das Kind erbringt, ohne mit diesem dauerhaft in einem Haushalt zu leben.

Angesichts der Umstände, in denen der rechtliche Vater jedenfalls im ersten Jahr nach der Geburt des Kindes typische Elternpflichten wahrgenommen habe, nahm das Gericht eine sozial-familiäre Vater-Kind-Beziehung im vorliegenden Fall an. Insbesondere habe sich der rechtliche Vater, auch nach dem die Mutter erneut eine Beziehung zum biologischen Vater aufgenommen habe, nicht aus seiner Vaterrolle zurückgezogen.

Das Bejahen dieser sozial-familiären Beziehung zwischen dem Kind und rechtlichem Vater führe aber nicht zwingend dazu, dem leiblichen Vater die Anfechtungsmöglichkeit zu versagen. Die Besonderheit des vorliegenden Falls bestehe darin, dass neben dem rechtlichen auch der leibliche Vater eine sozial-familiäre Beziehung zu dem Kind habe. Auch wenn es gesetzlich nicht auf die Beziehung des Kindes zum leiblichen Vater ankomme, müsse der § 1600 Abs. 2 BGB so verstanden werden, dass eine sozial-familiäre Beziehung des Kindes zu seinem rechtlichen Vater einer Anfechtung durch den leiblichen Vater gerade dann nicht entgegenstehe, wenn dieser seinerseits eine sozial-familiäre Beziehung zu dem Kind habe und mit ihm in einer Familie zusammenlebe. Dies ergebe sich aus dem in Art. 6 GG verfassungsrechtlich gewährleisteten Schutz der Familie. Dieser enthalte das Gebot, möglichst eine Übereinstimmung von leiblicher und rechtlicher Elternschaft zu erreichen.

Um diesen, vom Gesetzgeber bezweckten Schutz der Familie in der vorliegenden Konstellation zu erreichen, müsse es dem leiblichen Vater möglich sein - trotz bestehender sozial-familiärer Beziehung des bisher rechtlichen Vaters zum Kind - die Stellung als rechtlichen Vater selbst einzunehmen - so das Oberlandesgericht.

Der BGH aber sah das anders.

Entscheidung

Der BGH entschied zugunsten des bisherigen rechtlichen Vaters. Auch der BGH bejahte das Bestehen einer sozial-familiären Beziehung des rechtlichen Vaters zu dem Kind. Entgegen der Auffassung des Oberlandesgericht hielt es diese bestehende Beziehung allerdings für ein zwingendes Hindernis zur Anfechtung der Vaterschaft durch den leiblichen Vater.

Das Anfechtungsbegehren des leiblichen Vaters sei nach § 1600 Abs. 2 BGB eben nur dann begründet, wenn zwischen dem Kind und seinem rechtlichen Vater keine sozial-familiäre Beziehung bestehe. Darauf, ob auch zwischen leiblichem Vater und Kind eine sozial-familiäre Beziehung besteht, komme es nach dem eindeutigen Wortlaut der gesetzlichen Regelung überhaupt nicht an.

Zwar schütze die Art. 6 GG den leiblichen Vater in seinem Interesse, die Rechtsstellung als Vater des Kindes einzunehmen. Dieser Schutz vermittle ihm jedoch kein Recht, in jedem Fall vorrangig vor dem rechtlichen Vater die Vaterstellung eingeräumt zu erhalten. Ihm sei gesetzlich die Möglichkeit eingeräumt, die rechtliche Vaterposition zu erlangen, wenn dem keine familiäre Beziehung zwischen dem Kind und seinem rechtlichen Vater entgegenstehe. Dafür dass der Gesetzgeber habe darüber hinausgehen und dem leiblichen Vater weitergehende Rechte einräumen wollen, sei nichts ersichtlich.

Fazit

Die Entscheidung des BGH erscheint konsequent. Nicht gerade selten hat das Kind eine sozial-familiäre Beziehung auch zu seinem leiblichen Vater, sei es, weil dem leiblichen Vater aufgrund einer früheren sozial-familiären Beziehung ein Umgangsrecht zusteht, oder dass er erstmals Umgangskontakte mit seinem leiblichen Kind erwirken kann. In diesen Fällen muss es dem Kind möglich sein, eine eigene sozial-familiäre Beziehung zu seinem leiblichen Vater aufzubauen, ohne dass diesem dadurch zugleich die Möglichkeit der Anfechtung eröffnet würde.

Beachten Sie in diesem Zusammenhang, dass die Frage, ob auch zwischen der Mutter und dem rechtlichen oder leiblichen Vater eine sozial-familiäre Beziehung besteht, keinerlei Rolle für das Ergebnis spielt.

Der Mutter steht jedoch ein eigenes Anfechtungsrecht zu, das selbst von einer bestehenden sozial-familiären Beziehung des Kindes zum rechtlichen Vater nicht gehindert wird.

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Gerda Trautmann-Dadnia, Fachanwältin für Familienrecht