OLG Nürnberg: Urteil vom 03.08.2011, Az. 12 U 1143/06

Entscheidungserhebliche Normen: § 823 Abs. 1 BGB, § 840 Abs. 1 BGB, § 426 BGB, § 254 BGB, § 377 Abs. 2 HGB

Hintergrund

Die Klägerin stellte Türtechnikprodukte her, darunter Feststellanlangen von Brandschutztüren. Diese Türen werden meist in öffentlichen Gebäuden eingesetzt. Sie müssen stets selbstschließend sein und dürfen nicht mit Keilen offen gehalten werden. Dafür sind Feststellanlagen angebracht, die die Feuerschutzabschlüsse (Türen) offen halten. Stellt ein autarker Brandmelder ein Feuer fest, werden die Feuerschutzabschlüsse automatisch geschlossen.

Teil der Feststellanlagen waren die von der Klägerin hergestellten Rauchschaltzentralen. Darin waren Transformatoren zur korrekten Stromversorgung eingebaut. Von diesen Transformatoren lieferte die Beklagte ab dem 01.02.1998 der Klägerin 190.000 Stück.

Ab Juli 1998 kam es zu Störfällen an den von der Klägerin produzierten Feststellanlagen. Teilweise war es zu einem Ausfall, teilweise zur Entflammung der Transformatoren gekommen. Damit gingen Beschädigungen der Rauchschaltzentralen einher. Bei Ausfall des Transformators kam es zum selbstständigen Schließen der Brandschutztür.

Durch Gutachten konnte als Ursache der Mangel der von der Beklagten gelieferten Transformatoren festgestellt werden. Darüber wurde die Beklagte von der Klägerin in Kenntnis gesetzt.

Mit Schreiben vom 23.11.2000 informierte die Klägerin die Beklagte über einen geplanten Rückruf. Die Beklagte erklärte sich unter Bestreiten der Verantwortlichkeit nicht damit einverstanden. Ein weitere Gutachten und Analysen bestätigten die Auffassung der Klägerin.

Die Klägerin machte Schadensersatzansprüche aus der Rückrufaktion geltend. Das Landgericht Regensburg gab dem statt.

In der Berufung begehrte die Beklagte Aufhebung des ergangenen Urteils und Klageabweisung. Die Klägerin beantragte die Abweisung der Berufung.

Entscheidung

Die Berufung hatte keinen Erfolg. Das OLG Nürnberg gab dem Begehren der Klägerin vollumfänglich statt.

Begründung

Die Mangelhaftigkeit der Transformatoren stand durch Begutachtung für das Gericht fest.

Die Beklagte hafte nach § 823 Abs. 1 BGB wegen Verletzung von Verkehrssicherungspflichten auf Schadens- und Aufwendungsersatz im Rahmen der Rückrufaktion.

Einen Hersteller treffen

  • Organisationspflichten hinsichtlich ihres Betriebes, sodass Konstruktions-, Produktions- und Instruktionsfehler vermieden oder alsbald entdeckt werden.
  • Produktbeobachtungspflichten dahingehend, dass unbekannte schädliche Eigenschaften oder eine durch Verwendungsfolgen geschaffene Gefahrenlage erkannt und ihnen entgegengewirkt werde.
  • Gefahrenabwendungspflichten bei Entdeckung einer von der Produktverwendung ausgehenden Gefahr.

Der Inhalt, Umfang und Zeitpunkt der Gefahrabwendungspflichten hänge vom gefährdeten Rechtsgut und der Größe der Gefahr ab. Häufig genüge einer Warnung.

Bestehe aber Grund zur Annahme, dass diese nicht ausreicht, um den Produktbenutzern eine richtige Gefahreinschätzung zu ermöglichen oder sie von der Nutzung abzuhalten, könne nach Art und Umfang der Gefahr ein Rückruf notwendig sein. Das sei auch der Fall, wenn Benutzer die Gefahr zwar einschätzen könnten, aber ein (bewusstes) Hinwegsetzen über die Warnung wahrscheinlich ist.

So sei es auch im vorliegenden Fall. In den Fällen der Entzündung der Transformatoren sei die Gefahr der Verletzung von Gesundheit und körperlicher Unversehrtheit einer unbestimmten Vielzahl von Menschen direkt gegeben. Weiter könne nicht davon ausgegangen werden, dass alle (auch einmaligen) Besucher der (öffentlichen) Gebäude eine Warnung bezüglich der Türen wahrnähmen. Insbesondere läge bei fehlerhaftem Schließen der Türen die Gefahr nahe, dass Keile zum Offenhalten der Türen verwendet werden. Damit entfiele ihre Brandschutzwirkung und es entstünde eine Gefahr für Leib und Leben der Besucher. Ein Rückruf sei daher angemessen.

Das Interesse des Benutzers am Gebrauch (Nutzungs- und Äquivalenzinteresse) falle nicht unter die Pflichten aus § 823 Abs. 1 BGB. Maßgeblich sei allein das Integritätsinteresse. Dieses sei jedoch u.a. betroffen, wenn der Verwendungszweck der Produkte gerade der Schutz von Eigentum oder Gesundheit und körperlicher Unversehrtheit des Nutzers ist. Halte der Hersteller den Verbraucher durch die von ihm geweckten Gebrauchs- und Sicherheitserwartungen davon ab, andere Schutzmaßnahmen zu ergreifen, so müsse er dafür sorgen, dass dem Verbraucher hieraus keine Nachteile für die zu schützenden Rechtsgüter erwachse.

Die Verpflichtung treffe die Klägerin als Herstellerin der Feststellanlage und die Beklagte als Herstellerin des defekten Teilprodukts Transformator gemeinsam. Mehrere Verkehrssicherungspflichtige haften im Rahmen ihrer Verpflichtungen und ihres Verschuldens nach § 840 Abs. 1 BGB zusammen. Ein interner Ausgleichsanspruch könne gem. § 426 Abs. 1 S. 1 BGB gegeben sein.

Der Umfang der Mitverantwortungs- und Verursachungsanteile bestimme sich nach § 254 BGB analog. Grundsätzlich habe zwar der Anspruchsteller die Voraussetzungen eines Schadensersatzanspruchs wegen Verletzung der Verkehrssicherungspflicht zu beweisen. Bei einem für den Schaden verantwortlichen Produktfehler müsse jedoch der Produkthersteller beweisen, dass er seine Pflichten beachtet habe und ihn daher kein Verschulden treffe.

Die Beklagte müsse hier allein haften. Ihr oblag die Pflicht der Entwicklung eines gefahrlosen Produkts. Der Klägerin könne nur vorgeworfen werden, die Transformatoren nicht einem Dauertest unterzogen zu haben. Mehr Gewicht habe allerdings der Umstand, dass die Beklagte als Spezialunternehmen von der Klägerin gerade zur Entwicklung und Herstellung beauftragt war.

Ein Unterlassen der rechtzeitigen Mängelrüge nach § 377 Abs. 2 HGB schließe Ansprüche aus Schadensersatz nicht aus.

Auswertung/ Empfehlung

Im Rahmen der Verkehrssicherungspflicht kann eine Produkthaftung insbesondere dann einen Rückruf erforderlich machen, wenn das Produkt zum Schutz von Rechtsgütern des Kunden gedacht ist. Hier ist nämlich regelmäßig das Integritätsinteresse des Kunden betroffen. Hervorgehoben ist der Fall, dass der Hersteller mit dem Schutz durch das Produkt wirbt. Dadurch kann eine Erwartung beim Kunden geweckt werden, die ihn von andern Schutzmaßnahmen absehen und ihn auf seine Sicherheit vertrauen lässt.

Bezüglich des internen Ausgleichs nach §§ 840 Abs. 1, 426 Abs. 1 S. 1 BGB ist der § 254 BGB zur Bestimmung der Anteile heranzuziehen. Normalerweise trifft die Beweispflicht den Anspruchsteller, steht aber fest, dass ein Fehler eines Teilproduktes zum Schaden führt, so trifft sie den entsprechenden Produkthersteller. Diese Verlagerung der Beweislast kann im Gerichtsprozess sehr hilfreich sein.

Als weiterer hilfreicher Anhaltspunkt für die Bestimmung der Anteile ist die Fachkenntnis der beteiligten Unternehmen. Wurde ein Unternehmen gerade wegen seiner Expertise mit der Entwicklung, Herstellung und Lieferung eines Teilproduktes beauftragt, so resultiert daraus eine erhöhte Verpflichtung für dessen Gefahrlosigkeit zu sorgen.

Tim Bäuerle, LL.M (Edinburgh), Rechtsanwalt, Fachanwalt für Handels- und Gesellschaftsrecht