BGH: Urteil vom 14. Dezember 2016, Az. VII ZR 232/15

Entscheidungserhebliche Normen: § 573 Abs. 2 Nr. 2 BGB, § 241 Abs. 2 BGB

Hintergrund

Die Beklagten mieteten ab dem 24.02.1985 von der Rechtsvorgängerin der Klägerin eine Wohnung in einem Mehrfamilienhaus in München. Die Klägerin ist die derzeitige Vermieterin der Wohnung. Sie ist eine 1919 gegründete Gesellschaft bürgerlichen Rechts (GbR), bestehend aus vier Mitgliedern.

Seit 1991 war sie Eigentümerin des Mehrfamilienhauses. Ihr Zweck ist die Verwaltung und Vermietung des Hauses. 1994 sanierte die Klägerin Teile des Anwesens. Einige Wohnungen wurden verkauft, die anderen sind weiterhin Eigentum der Klägerin. Allein die Wohnung der Beklagten wurde noch nicht saniert. In der folgenden Zeit schied ein Gesellschafter aus und wurde durch einen neuen ersetzt.

Am 30.09.2013 kündigte die Klägerin das Mietverhältnis mit den Beklagten zum 03.06.2014. Als Begründung gab sie den Eigenbedarf der Tochter (und ihrer Familie) eines der Gesellschafter an. Die Beklagten widersprachen dem.

Die Klägerin begehrte Räumung und Herausgabe der Wohnung. Das Amtsgericht wies die Klage ab. Es stellte auf die Pflicht der Klägerin ab, den Beklagten eine andere kleinere und leerstehende Wohnung im selben Haus anzubieten (Rechtsmissbrauch). Die Berufung der Klägerin blieb erfolglos. Das Landgericht erläuterte, dass der Eigenbedarf eines GbR-Gesellschafters die GbR nicht zur Kündigung berechtige.

Entscheidung

Der BGH gab der Klage auf Räumung und Herausgabe der Wohnung statt.

Er bejahte die Kündigungsmöglichkeit einer GbR aufgrund Eigenbedarfs eines Gesellschafters nach § 573 Abs. 2 Nr. 2 BGB analog. Weiter rückte er von der bisherigen Rechtsprechung ab [!] und erklärte eine Kündigung trotz der Verletzung der Rücksichtnahmepflicht aus §§ 241 Abs. 2, 242 BGB für wirksam.

Begründung

Zur Eigenbedarfskündigung

§ 573 Abs. 2 Nr. 2 BGB nennt als berechtigtes Interesse an der Beendigung des Mietverhältnisses den Eigenbedarf.

Er sei auf natürliche Personen zugeschnitten. So scheide eine direkte Anwendung aus. Eine entsprechende Anwendung sei aber gerechtfertigt:

  • Eine (Außen-)GbR ist weder natürliche, noch juristische Person. Sie stellt eine teilrechtsfähige Personengesellschaft dar. Dies mache sie allerdings gerade nicht zu einem ihren Gesellschaftern gegenüber völlig verselbstständigten Rechtssubjekt (also nicht zur juristischen Person).
  • Die Teilrechtsfähigkeit führt dadurch auch nicht zur Unbeachtlichkeit der Interessen der Personen, die die Gesellschaft bilden.
  • Ziel der Teilrechtsfähigkeit der GbR sei die praktikable Zuordnung des Gesellschaftsvermögens. Vertragspartner werde also nunmehr stets die GbR und nicht die Gesellschaftermehrheit. Darum scheide die direkte Anwendung des § 573 Abs. 2 Nr. 2 BGB auch aus. Eine von der früheren Rechtslage (Gesellschafter als Vertragspartner) abweichende Interessenlage ergibt sich aber nicht [!]. Eine andere rechtliche Bewertung sei nicht angezeigt. Hier sei allein eine gesellschaftsrechtliche, keine mietrechtliche Änderung erfolgt.

Der § 573 Abs. 2 Nr. 2 BGB verfolge auch nicht das Ziel den Mieter vor einem Verdrängungsrisiko durch eine unüberschaubare Anzahl von Personen auf Vermieterseite zu schützen. Das ergebe sich nicht aus der Gesetzgebungsgeschichte und nicht aus dem Gesetzeszweck. Er soll den Mieter lediglich vor willkürlichen Kündigungen schützen und dem Vermieter bei berechtigtem Grund eine Möglichkeit der Vertragsauflösung gewährleisten (Interessenausgleich Vermieter-Mieter).

Der Schutzzweck des § 573 Abs. 2 Nr. 2 BGB sei auch nicht mit dem des § 577a BGB (Kündigungssperre) zu vermengen. Letzterer stelle den Sonderfall dem Mieterschutz bei einem gerade zur Befriedigung eigenen Wohnbedarfs motivierten Erwerb von Mietwohnungen zu dienen dar. Das lasse aber keine Aussagen über einen nur "überschaubaren" Vermieterkreis im Rahmen des § 573 Abs. 2 Nr. 2 BGB zu.

Insgesamt ändere sich das Verdrängungsrisiko durch den Vertragsschluss mit der GbR im Vergleich zur früheren Rechtslage (Vertrag mit GbR-Gesellschaftern) nicht.

Der GbR wird der Eigenbedarf ihrer Gesellschafter zugerechnet.

Der Gesetzgeber konnte die Teilrechtsfähigkeit der GbR seinerzeit planwidrig nicht ins Gesetz einbeziehen, weshalb die analoge Anwendung des § 573 Abs. 2 Nr. 2 BGB gerechtfertigt ist.

Zur Rücksichtnahmepflicht

§ 241 Abs. 2 BGB verpflichtet beide Vertragsparteien zur gegenseitigen Rücksichtnahme.

Dies habe besondere Bedeutung im Mietrecht, bei dem der Mieter auf seine regelmäßig den Lebensmittelpunkt bildende Mietsache (Wohnung) ankommt. Durch Art. 14 Abs. 1 S. 1 GG sei der Vermieter in seiner Freiheit geschützt die Wohnung bei Eigenbedarf selbst zu nutzen. Ebenso komme dem Mieter ein Besitzrecht mit eigentumsgleichen Rang im Sinne des Art. 14 Abs. 1 GG zu.

Nach der bisherigen Rechtsprechung habe der kündigende Vermieter dem Mieter eine andere ihm in der Kündigungsfrist zur Verfügung stehende vergleichbare Wohnung anzubieten. Dies sofern sich diese Wohnung im selben Haus oder in der selben Wohnanlage befinde und er sie erneut vermieten will. Diese Pflicht bleibe bestehen.

Nur eine rechtmäßige (berechtigte) Eigenbedarfskündigung löse die Angebotspflicht aus. Gerade wegen dieser (hier festgestellten) Rechtmäßigkeit könne die Kündigung bei Verletzung der Pflicht aus § 241 Abs. 2 BGB aber nicht als rechtsmissbräuchlich im Sinne des § 242 BGB angesehen werden.  Der Mieter verstoße nur mit dieser Pflichtverletzung, nicht mit der Kündigung gegen die Rechtsordnung. Rechtsfolgen hätten daran anzuknüpfen.

Allein, wenn die Eigenbedarfskündigung als unberechtigt erkannt werde, sei sie auch unwirksam. Dagegen löst die Verletzung der Nebenpflicht eines Alternativangebotes aus § 241 Abs. 2 BGB nur eine Schadensersatzpflicht nach § 280 Abs. 1 BGB aus. Es komme nur Geldersatz in Betracht.

Auswertung und Empfehlung

Zur Eigenbedarfskündigung

Mit seinem Urteil überträgt der BGH die von ihm BGH anerkannte Teilrechtsfähigkeit letztlich ins Mietrecht.

Die mögliche Berufung der GbR auf § 573 Abs. 2 Nr. 2 BGB analog bringt den Vorteil, dass ein berechtigtes Interesse vermutet wird und nicht, wie bei § 573 Abs. 1 S. 1 BGB im Einzelfall nachgewiesen werden muss.

Mieter, die eine GbR als Vermieter haben, sollten sich dagegen über deren Gesellschafterkreis und möglichen Eigenbedarf informieren. Bei Eigentum seitens der GbR kann dank § 47 Abs. 2 S. 1 GBO der Gesellschafterkreis im Grundbuch eingesehen werden. § 899a S. 1 BGB besagt, dass auch nur die Personen Gesellschafter sind, die im Grundbuch eingetragen sind.

Zur Rücksichtnahmepflicht

Nunmehr ist konkret festzustellen, ob der Rechtsmissbrauch in der Eigenbedarfskündigung liegt:

  • unberechtigte Eigenbedarfskündigung
  • Wegfall der berechtigten Eigenbedarfskündigung während der Kündigungsfrist

oder im Unterlassen des Angebotes einer Alternativmietsache.

Im ersten Fall kann die Kündigung für unwirksam erklärt werden. Im zweiten Fall kann nur Schadensersatz in Geld verlangt werden.

Gerda Trautmann-Dadnia, Rechtsanwältin, Fachanwältin für Familienrecht

Tim Bäuerle, LL.M (Edinburgh), Rechtsanwalt, Fachanwalt für Handels- und Gesellschaftsrecht