BGH: Urteil vom 15.03.2017, Az. VII ZR 270/15

Entscheidungserhebliche Normen: § 573 BGB, § 574 BGB, § 574a BGB

Hintergrund

Die Beklagten mieteten seit 1997 eine Wohnung im Erdgeschoss eines Mehrfamilienhauses in S. Der Vermieter vererbte nach seinem Tod das Haus an die Klägerin und seinen Sohn.

Der Drittwiderbeklagte im Prozess ist seit 2014 Eigentümer des Grundstücks. Er bewohnt mit seiner vierköpfigen Familie die Obergeschosswohnung des Hauses. Im Dachgeschoss befinden sich weitere Räume, die zunächst als Wohnung genutzt wurden, dann aber leer standen.

Der verstorbene Vermieter kündigte gestützt auf Eigenbedarf mehrfach das Mietverhältnis. Die letzte Kündigung vom 24.01.2014 begründete er damit, dass der Drittwiderbeklagte die Erdgeschosswohnung für seine Familie benötige. Diese lebe in beengten Wohnverhältnissen, unter anderem brauche dieser Platz für seine zweijährige Tochter.

Die Beklagten widersprachen der Kündigung und machten geltend, der Drittwiderbeklagte könne die leerstehende Dachgeschosswohnung nutzen. Weiter sei ihnen aus Härtefallgründen eine Kündigung nicht zumutbar. Der im Jahre 1930 geborene Beklagte leide an Demenz, die sich bei einem Ortswechsel verschlimmern könnte, womit nur ein Pflegeheim in Frage komme. Seine Ehefrau dagegen sei noch rüstig, sodass sie ein Pflegeheimplatz für sich ablehne. Somit wäre der Beklagte von ihr getrennt.

Das Amtsgericht gab der Räumungsklage statt und lehnte die Widerklage der Beklagten (gerichtet auf Feststellung eines fortbestehenden Mietvertrages) ab. Die Berufung der Beklagten blieb ohne Erfolg.

Mit der Revision verfolgen die Beklagten ihr Klageabweisungs- und Feststellungsbegehren weiter.

Entscheidung

Die Revision hatte Erfolg. Der BGH entschied, dass:

  • dem Zweck des § 573 Abs. 3 BGB genügt ist, wenn die den Wohnraum benötigende Person und ihr Interesse angegeben wird. Eine Angabe zu alternativen Möglichkeiten ist dagegen nicht gefordert.
  • es zu den Voraussetzungen einer zulässigen Wahrunterstellung gehört die Behauptung wie von der Partei vorgetragen übernommen wird. Dazu gehört das von der Partei beigelegte Gewicht.

Der Rechtsstreit war nicht zur Endentscheidung reif, da noch weitere Sachfeststellungen zu treffen waren. Die Rechtsache wurde an das Berufungsgericht zurückverwiesen. Insbesondere wies der Senat auf § 574a (Abs. 1 S. 2) BGB hin.

Begründung

Dem Begründungserfordernis des § 573 Abs. 3 BGB sei vom Vermieter genügt worden. Sinn und Zweck des Erfordernisses ist, dem Mieter frühzeitig seine Rechtsposition klar zu machen und ggf. Rechtsschutz zu suchen. Dem werde genügt, wenn das Kündigungsschreiben den Kündigungsgrund hinreichend bestimmt wiedergibt. So könne der Mieter seine Verteidigung darauf abstimmen und der Vermieter den Grund nicht nachträglich auswechseln. Zweierlei sei anzugeben: Die Person, die die Wohnung benötige und deren Interesse an der Wohnung.

Im vorliegenden Fall müsse die Kündigung keine Erklärung zu den Dachgeschossräumen und ihrer Nutzbarkeit enthalten. § 573 BGB begründe keine Pflicht des Vermieters die Alternativlosigkeit der Kündigung zu zeigen. Weiter sei der Mieterseite die Situation im Haus auch bekannt gewesen.

Das Interesse des Vermieters, die Wohnung Familienangehörigen zur Verfügung zu stellen, sei berechtigt (§ 573 Abs. 2 Nr. 2 BGB). Die Gerichte hätten dabei den Entschluss des Vermieters, die Wohnung selbst zu nutzen oder durch privilegierte Dritte nutzen zu lassen, sowie die Vorstellung des Vermieters zu angemessenem Wohnbedarf zu akzeptieren. Dem sei jedoch schon in der Norm des § 573 Abs. 2 Nr. 2 BGB eine Grenze durch berechtigte Mieterinteressen gesetzt. Gerichte hätten den Vermieterwunsch auf Ernsthaftigkeit, vernünftige Gründe oder Missbrauch zu überprüfen.

Die Absicht den freien Raum im Dachgeschoss nicht wieder wohnbar zu machen und lieber die Erdgeschosswohnung zu nutzen, sei aufgrund der Dachschrägen und des Zugangs nachvollziehbar. Ein Rechtsmissbrauch könne hierin nicht gesehen werden.

Ebenso sei die Kündigung nicht unwirksam, weil die Dachgeschosswohnung nicht als Alternative angeboten worden sei. Ein etwaiger Verstoß könne auch nur zu Schadensersatzansprüchen wegen einer Nebenpflichtverletzung führen (s. BGH: Urteil vom 14. Dezember 2016, Az. VII ZR 232/15).

Erfolgreich sei die Revision aber im Punkt der Würdigung der Mieterinteressen nach § 574 Abs. 1 S. 1 BGB. Entsprechende Härtegründe müssten sich von gewöhnlichen Unannehmlichkeiten beim Wohnortwechsel deutlich unterscheiden. Das Berufungsgericht habe die Belange der Mieter zwar formal als wahr unterstellt, es dabei aber unterlassen, diese mit dem vorgetragenen Gewicht in die Härtefallabwägung einzubeziehen.

Eine Wahrunterstellung bedeute eine Behauptung wie von der Partei vorgetragen zu übernehmen. Dazu zähle auch die vom Vortragenden beigemessene Bedeutung (Gewicht). Hierzu wurden gesundheitliche Beeinträchtigungen über altersbedingte Gebrechlichkeit hinaus genannt. Weiter die Konsequenzen für das eheliche Zusammenleben der Mieter. Diese Schwere habe das Berufungsgericht verkannt.

Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG fordere bei drohenden schwerwiegenden Gesundheitsbeeinträchtigungen oder Lebensgefahr eine besonders gründliche gerichtliche Auseinandersetzung. Eine oberflächliche Einschätzung des insofern sachunkundigen Gerichts genüge nicht. Es seien vielmehr Sachverständigengutachten einzuholen, um der Abwägungsdevise des § 574 Abs. 1 BGB zu genügen.

Auf Vermieterseite sei dagegen das Gewicht zu hoch eingeschätzt worden. Hierbei zähle auch die Dringlichkeit der Erweiterung des Wohnraums. Es gehe aber (noch) nicht um eine Beseitigung völlig unzureichender beengter Wohnverhältnisse, sondern um eine Erhöhung des Wohnkomforts. Auch die Verfügbarkeit von alternativem Wohnraum, der übergangsweise Abhilfe schaffen könne, sei zu berücksichtigen. Ergänzend trage die Mieterpartei berechtigterweise vor, dass es sich aufgrund des hohen Alters der Mieter nicht um einen unüberschaubaren Zeitraum handeln würde.

Auswertung/ Empfehlung

Der BGH ordnet hier Interessenvortrag und Interessenabwägung von Vermieter und Mieter bei Kündigung des Mietverhältnisses.

Der Interessenvortrag der Vermieterseite soll allein auf die Prüfung eines hinreichend bestimmten Kündigungsgrundes beschränkt sein. Dem wird bei der Eigenbedarfskündigung genügt, wenn:

  • die Partei genannt wird, die den Wohnraum benötigt,
  • das Interesse der Partei klar beschrieben ist.

Ein Wegfall des Interesses der Vermieters ist nur gegeben, wenn:

  • die Ernsthaftigkeit des Eigennutzungswunschs fehlt,
  • keine vernünftigen und nachvollziehbaren Nutzungsgründe ersichtlich sind,
  • Rechtsmissbrauch vorliegt (geltend gemachter Wohnraum ist weit überhöht, alternative freie Vermieterwohnung könnte ohne Abstriche genutzt werden)

Die Interessen der Mieterseite können in einer Härtefallabwägung entscheidend sein und eine Fortsetzung des Mietverhältnisses rechtfertigen (§ 574 Abs. 1 S. 1 BGB). Bei schwerwiegenden gesundheitlichen Gründen ist das Gericht verfassungsrechtlich (Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG) zu einer besonders sorgfältigen Prüfung verpflichtet.

Bedeutsam ist die Klarstellung des BGH, dass nicht nur die Sachaussage der Mieterpartei, sondern auch das ihr beigelegte Gewicht bei einer Wahrunterstellung einfließen muss.

Schließlich werden die von der Revision ins Feld geführten Argumente in der Härtefallabwägung relevant:

  • Wohnkomforterweiterung gegenüber Abhilfe beengter Wohnverhältnisse
  • alternativer übergangsweiser Wohnraum
  • Alter der Beklagten (Zeitspanne voraussichtlicher Mietverhältnisfortsetzung)

Diese und weitere Punkte empfiehlt es sich einzelfallabhängig aufzulisten und gerichtlich oder im Vorfeld bei außergerichtlicher Streitbeilegung vorzutragen.

Gerda Trautmann-Dadnia, Rechtsanwältin (Bereich Mietrecht)